Präventiv- und Gesundheits-Apps nach § 20 SGB entwickeln

08.06.2021
Seit Juli 2021 werden von den Krankenkassen auch die Kosten für rein digitale Angebote getragen, die der Prävention oder Gesundheitsförderung dienen. Gab es bisher schon die Kostenübernahme für Präventionskurse in Form einer Präsenzveranstaltung, wird durch die Neuregelung des §20 SGB Kapitel 7 nun auch der digitale Präventionskurs erstattet, wodurch sich für "Gesundheits-Apps" ein ganzes Schlaraffenland eröffnet. Wir wollen nachfolgend erkunden, wie sich das Schlaraffenland erschließen lässt.

Gleich vorab: wie jedes Paradies wird auch dieses streng bewacht. Es gilt zunächst ein Trainingskonzept zu erstellen, dass zwar formal recht frei gestaltet werden kann, jedoch Feedbackelemente und Trainingskontrollen beinhaltet, die die Teilnahme dokumentieren sollen. Das ist er leichte Teil. Das größere Schreckgespenst ist der "wissenschaftliche Nachweis zur Wirksamkeit" des digitalen Präventionsangebotes. Das klingt kompliziert und teuer - muss es aber nicht sein wie wir später sehen werden.

 

Abgrenzung zu Gesundheitsapps auf Rezept

Bereits seit 2020 ist es möglich, Apps auf Rezept zu bekommen. Diese Apps müssen allerdings vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft und von einem Arzt verschrieben werden. Hier ist der Zertifizierungsaufwand erheblich größer und der User bzw. der Patient muss diese App ausdrücklich verschrieben bekommen, damit die Kosten von der Krankenkasse getragen werden. 

Die Besonderheit an Präventionsapps und Gesundheitsapps nach § 20 SGB ist nun, dass der User selbst aktiv werden kann, ohne ärztliche Verschreibung. Der User nutzt die von der Zentralen Prüfstelle Prävention (kostenlos) geprüfte und freigegebene App, erhält nach seinem Kurs eine (digitale) Bescheinigung über die Teilnahme und kann mit dieser die Kosten (anteilig) durch die Krankenkasse erstatten lassen.

Klären wir zunächst, welche Angebote überhaupt in Betracht kommen, was also die Gesundheitsapps können muss.

1. Welche Arten von digitalen Angeboten können künftig von Krankenkassen "bezahlt" werden

Digitale Präventions- bzw. Gesundheitsförderungsangebote umfassen Webseiten, mobile Anwendungen sowie hybride Anwendungen in den Handlungsfeldern der verhaltensbezogenen Prävention nach § 20 Abs. 4 Nr. 1 SGB V. Die Handlungsfelder sind:

Handlungsfeld Bewegungsgewohnheiten mit den Präventionsprinzipien

  • Reduzierung von Bewegungsmangel durch gesundheitssportliche Aktivität
  • Vorbeugung und Reduzierung spezieller gesundheitlicher Risiken durch geeignete verhaltens- und gesundheitsorientierte Bewegungsprogramme

Handlungsfeld Ernährung mit den Präventionsprinzipien

  • Vermeidung von Mangel- und Fehlernährung
  • Vermeidung und Reduktion von Übergewicht

Handlungsfeld Stressmanagement mit den Präventionsprinzipien

  • Förderung von Stressbewältigungskompetenzen
  • Förderung von Entspannung

Handlungsfeld Suchtmittelkonsum mit den Präventionsprinzipien

  • Förderung des Nichtrauchens
  • Gesundheitsgerechter Umgang mit Alkohol/Reduzierung des Alkoholkonsums

Ferner gibt es noch die Betriebliche Gesundheitsförderung nach § 20b SGB V und die Lebensweltbezogene Gesundheitsförderung und Prävention nach § 20a SGB V, welche wir in diesem Beitrag nicht näher besprechen.

 

Eine detaillierte Beschreibung aller Handlungsfelder gibt es hier: 

Kriterien_zur_Zertifizierung_digitaler_Angebote_12_2020

Wichtig ist zu beachten, dass Kurse der Primärprävention sich an gesunde Personen ohne behandlungsbedürftige Erkrankungen richten.

 

2. Voraussetzungen für Gesundheitsapps nach § 20 SGB

Die Zertifizierung eines digitalen Präventions- bzw. Gesundheitsförderungsangebots erfolgt in Abhängigkeit der in Kapitel 7 des Leitfadens Prävention beschriebenen Kriterien (vgl. hierzu Leitfaden Prävention S. 128-143).

Die Zertifizierung eines digitalen Präventions- bzw. Gesundheitsförderungsangebots durch die Zentrale Prüfstelle Prävention erfolgt bei Erfüllung aller Kriterien des Kapitels 7 für drei Jahre.

Für den Fall, dass der Beleg des gesundheitlichen Nutzens eines digitalen Präventions- bzw. Gesundheitsförderungsangebots durch eine Studie noch aussteht, kann eine Zertifizierung bei Erfüllung aller anderen Kriterien und Vorlage des Studiendesigns zunächst für ein Jahr erfolgen; sobald der gesundheitliche Nutzen durch die Studie belegt ist, kann dann eine Zertifizierung für drei Jahre durch die Zentrale Prüfstelle Prävention erfolgen.

Die Studie muss dabei in einem öffentlich einsehbaren Register, wie z.B. dem DRKS oder dem Open Science Framework, welches kein Ethikvotum erfordert, geführt und dokumentiert werden.

Für die Prüfung muss eingereicht werden:

  • Trainingskonzept mit Beschreibung der Behavior Change Techniques (BCT)
  • Wissenschaftlicher Nachweis zur Wirksamkeit oder Studiendesign zur Durchführung der Studie für eine 1-jährige Vorabzulassung
  • Testzugang zur Prüfung
  • Teilnehmerunterlagen, die dem Teilnehmer auch nach dem Kurz zur Verfügung stehen (Print?)
  • Erklärungen zu Datenschutzbestimmungen
  • Benennung Ausschlusskriterien, Kontraindikationen

Wir betrachten nachfolgend die zwei Kernanforderungen, nämlich das Trainingskonzept und die Wirksamkeitsstudie.

2.1 Trainingskonzept für digitale Präventionsapps

Jedes Präventions- bzw. Gesundheitsförderungsangebot ist anhand der handlungsfeld- bzw. präventionsprinzip-bezogenen Inhalte zu beschreiben (siehe Handlungsfelder unter 1).

Die eingesetzten Techniken zur Veränderung des Gesundheitsverhaltens sind nach dem Behaviour Change Techniques Schema (BCT) zu beschreiben (Überblick BCT Schema). 

Dem BCT Schema folgend müssen aus diesem Element der folgenden vier Kategorien verwendet werden:

  • Ziele und Planung (Oberkategorie 1)
  • Verhalten beobachten und Feedback geben (Oberkategorie 2)
  • Wissen bilden (Oberkategorie 4)
  • Wiederholen und Verallgemeinern (Oberkategorie 8)

2.2 Wissenschaftlicher Nachweis zur Wirksamkeit von digitalen Angeboten nach §20 SGB Kapitel 7

Um digitale Gesundheitsanwendungen, die von den Krankenkassen getragen werden, anbieten zu können, muss deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen sein oder eine Studie zur Erbringung des Nachweises geplant sein. Folgende Anforderungen gelten für diese Studien:

  • Die Studie muss muss nach einem standardisierten Studienprotokoll durchgeführt werden, siehe https://www.spirit-statement.org/
  • Studienart muss mindestens eine "prospektive Vorher-Nachher-Beobachtungsstudie" mit folgendem Ablauf sein:
    1. Definition der Endpunkte, die durch das digitale Angebot beeinflusst werden sollen
    2. Erhebung der Endpunkte zu Beginn des Angebots
    3. Erhebung der Endpunkte frühestens 6 Wochen nach Beginn des Angebots
    4. Erhebung des Langzeiteffekts 3-6 Monate nach Beginn des Angebots
  • Studie muss transparent in einem öffentlichen Register geplant werden (Deutsches Register Klinischer Studien – DRKS)
  • Die Studie muss quantitativ sein und statistisch signifikante und gesundheitsrelevante Zusammenhänge bzw. Unterschiede feststellen. Das Signifikanzniveau muss mindestens einem p-Wert von 0,05 bzw. 5 Prozent entsprechen
  • Die Studienergebnisse müssen eine Aussage darüber treffen, wie häufig ein User die Gesundheits-App mindestens nutzen sollte, um tatsächlich einen gesundheitlichen Nutzen zu erzielen. Die tatsächliche Nutzung der Teilnehmenden wird auf den Teilnahmebescheinigungen später in Relation zu der als geeignet definierten Nutzungsintensität angegeben. Die Nutzungsintensität ist damit relevant für die Erstattungsfähigkeit der App.

Gesundheits-Apps als Informations- und kommunikationstechnologiebasierte (IKT) Selbstlernprogramme

Voraussetungen für Selbstlernprogramme

Hier interessieren uns besonders diese Wortmonstrositäten, denn die IKT Selbstlernprogramme sind - wie der Name schon sagt - selbständig, also etwa mit der Gesundheitsapp, verwendbar und daher für den Anbieter mit verhältnismäßig geringem Personaleinsatz zu leisten. Für die IKT-basierten Selbstlernprogramme, wir nennen die künftig einfach wieder Gesundheits- oder Präventions-Apps, gelten noch ein paar Voraussetzungen:
  • Die Präventions-Apps sind modulartig aufgebaut mit thematisch aufeinander aufbauenden Einheiten (Min. 8 bis max. 12 Einheiten, 45 bis 90 Minuten pro Einheit - seit 01.07.2021 kann das aber auch flexibler gehandhabt werden). Das Folgemodul wird erst nach erfolgreicher Beendigung des vorherigen Moduls freigeschaltet.
  • Die Programme bieten die Möglichkeit, Aktivitäten zu planen und zu kontrollieren. Der Teilnehmende erhält Rückmeldungen zu den eingetragenen Inhalten von Protokollierungs- und Auswertungsfunktionen z. B. durch Erfolgskurven.
  • Bei der Vermittlung des Handlungswissens wird auf mögliche Fehler beim Einüben hingewiesen und deren Vermeidung durch entsprechend platzierte Hinweise unterstützt.
  • IKT-basierte Selbstlernprogramme können in Bezug auf Umfang und Frequenz von den formalen Anforderungen von Präsenzkursen abweichen, wenn die Abweichung sinnvoll begründet ist.
  • Absolvierung des Programmes soll innerhalb von 6 Monaten sein; die Inhalte müssen dem Teilnehmer aber 1 Jahr zur Verfügung stehen.

Ausschlusskriterien definieren

Gesundheits-Apps müssen unbedingt Ausschlusskriterien definieren und durch gezielte Fragen vor Übungsbeginn sicherstellen, dass nur User, die hinreichend über die Ausschlusskriterien informiert sind und bestätigt haben, dass die Ausschlusskriterien auf sie nicht zutreffen, Zugang zur Übung erhalten.

Fachliche Beratung für User von Gesundheitsapps

Ganz alleine lassen kann man den User aber auch in Selbstlernapps nicht: es muss zumindest die Möglichkeit gegeben werden, inhaltlichen und fachliche Fragen per Telefon oder E-Mail zu stellen. Diese müssen von hinreichend qualifizieren Mitarbeitern innerhalb von 48h beantwortet werden.



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